Singt dem König Freudenpsalmen
"Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir."
Mit diesen schönen Worten beginnt der Psalm 63, der im Stundengebet ("Brevier") der heiligen Kirche am Morgen von (Hoch-) Festen bei den "Laudes" gebetet wird. Überhaupt bilden die 150 Psalmen der Bibel das ursprüngliche "Gebetsbuch" des auserwählten Volkes. Sie waren auch das Gebet Jesu selbst, der sich ganz in die Tradition des Alten Bundes hineinstellte. Schon seit dem frühen Christentum war das Psalterium auch Grundlage des öffentlichen kirchlichen Betens zu den verschiedenen Tagzeiten.
Da das Beten des Stundenbuchs - stellvertretend für oder mit der Gemeinde - für jeden geweihten Priester verpflichtend ist, haben wir uns nun gemeinsam mit unserer Vorstehung etwas näher mit den Psalmen beschäftigt und auseinandergesetzt. Handelt es sich dabei doch um geistliche Texte, die vor über 2.000 Jahren entstanden und in ihrer Sprache und Mentalität vom Denken der damaligen Zeit und ihres kulturellen und sozialen Kontextes geprägt sind. Beim gemeinsamen Lesen der Psalmen merkten wir in der Gruppe, dass diese Unbekanntheit des historischen Hintergrunds und die uns of archaisch anmutende Vorstellungswelt mit Betonung von Krieg, Gewalt und Sieg über den Feind, den Zugang zum Psalmengebet manchmal sehr erschweren. Die Herausforderung besteht nun darin, die in den Psalmen enthaltenen tiefen Gedanken und Reflexionen für unser heutiges spirituelles Leben in der Moderne fruchtbar zu machen. Als Hilfe dazu wurden verschiedene Zugänge besprochen und dargestellt.
Besonders hervorgehoben wurde dabei die Tatsache, dass die Psalmen alle Aspekte des Menschseins (Lob, Dank, Freude, aber auch Leid, Klage, Krankheit und Konflikte) in den Blick nehmen und vor Gott hintragen. "Psalmen nehmen uns dabei in einen Rhythmus, in eine Lebensmelodie und Glaubenshaltung hinein - alle Gefühle und Bilder der Psalmen haben nur das Ziel, uns in die Gegenwart Gottes hineinzuführen", wie Rektor Erwin Neumayer ausführte. Als solche "Spiegel der Seele" (Hl. Augustinus) können die Psalmen auch uns heute eine große Hilfe sein, eine lebendige Gottesbeziehung aufzubauen und zu vertiefen, wenn wir bereit sind, uns trotz der anfänglichen Fremdartigkeit der sprachlichen Bilder auf den tiefen spirituellen Inhalt einzulassen. Eine Hilfe dazu kann auch die Arbeit mit verschiedenen Bibelübersetzungen sein. Im Vergleich von mehreren verschiedenen Versionen in der Gruppe - die zum Teil nahe an der hebräischen Urfassung, zum Teil in modernerer Sprache formuliert sind - ist uns bewusst geworden, dass jede Übersetzung auch ein Stückweit Interpretation ist.
Mag. Patrick Hofer
Erzdiözese Wien